Randgruppenkrawall 2023

Patricia Koller/ August 14, 2023/ Aktivistin, Reden

Rede vom 12. August 2023

Wir sind heute hier, um kurz vor den Wahlen nochmal richtig Krawall zu machen!

Wir protestieren gegen Diskriminierung, Ausgrenzung, Bevormundung und Unterdrückung. Wir werden laut und sichtbar. Wir sind der Randgruppenkrawall.

Seit Jahren demonstrieren Menschen mit Behinderungen regelmäßig für ihre Rechte, für Barrierefreiheit, bessere Teilhabemöglichkeiten an der Gesellschaft, fairere Ausbildungsmöglichkeiten, berufliche Chancen und vieles andere.

Meistens tun sie dies relativ unbeachtet von der Öffentlichkeit.

Mich ärgert die Arroganz und Ignoranz der Politik und der Gesellschaft gegenüber behinderten Menschen, die häufig wehrlos sind. Wir müssen deshalb eine Stufe höher schalten, wir müssen frecher, lauter und sichtbarer werden.

So lange die Leute nicht selbst betroffen sind, juckt es keinen, wenn wir z.B. an Veranstaltungen nicht teilnehmen können, keinen Zugang zu nicht barrierefreien Restaurants oder Arztpraxen haben.

Wenn wir öffentliche Verkehrsmittel nicht selbstbestimmt nutzen können. Es ist ihnen egal, wenn wir nicht zur Toilette können, weil es kaum Behindertentoiletten gibt.

Viele Menschen mit Behinderungen haben ANGST, gegen die Ungerechtigkeiten aufzubegehren, weil sie von Geburt an klein gehalten wurden und man ihnen immer wieder weisgemacht hat, daß sie minderwertig sind. Das ist ungeheuerlich!

In vielen deutschen Behörden und Sozialgerichten weht ein brauner Wind. Immer noch. Wer mal in den Strudel der nicht enden wollenden Schikanen, Ungerechtigkeiten und Demütigungen hineingezogen wurde, die einem widerfahren, wenn man als Mensch mit einer Behinderung oder psychischen Erkrankung um seine Rechtsansprüche kämpft und jahrelang vor Gericht ziehen muss, weiß sehr genau, wovon ich hier rede.

Ich weise die Politik seit Jahren auf erhebliche Missstände hin.


Wir sprechen beim Randgruppenkrawall auch immer wieder die dunkelste deutsche Geschichte an. Weil es nötig ist.

Viele Deutsche wissen noch immer nichts von dem Massenmord der Nationalsozialisten an Menschen mit Behinderungen und chronischen oder psychischen Erkrankungen. Dabei ist die Zeit der – AktionT4 genannten – Morde noch gar nicht lange her.

Ein Thema, das in Deutschland generell tabuisiert wird und genau deshalb reden WIR darüber. Um zu verstehen, was wir heute noch für Kämpfe mit den Behörden haben, ist es meines Erachtens wichtig, einzutauchen in die deutsche Vergangenheit und ihre tief verwurzelte Behindertenfeindlichkeit.

Auch um zu sehen, was für eine enorme Gefahr für uns entsteht, wenn erneut Faschisten an die Macht kommen, die von „unwertem Leben“ und „Ballastexistenzen“ schwadronieren und uns entrechten wollen…

Die Öffentlichkeit hat keinen Einblick in die geschlossenen Systeme der Einrichtungen. Immer wieder wird deutlich, zu welch gewaltsamen, respektlosen und ekelhaften Übergriffen es auf wehrlose Menschen in Heimen und Psychiatrien kommen kann.
Niemand möchte lebensgefährlicher „Pflege“ ausgeliefert sein oder widerstandsunfähig als unfreiwilliges Sexobjekt herhalten müssen, wie es meiner vom Hals abwärts gelähmten Freundin widerfahren ist, als sie in einem Heim untergebracht war.

Frauen mit Behinderungen sind doppelt so häufig Opfer von Gewalt wie Frauen ohne Behinderung und nahezu dreimal so oft von sexueller Gewalt.

Macht braucht Kontrolle!

Eine gute Gesellschaft schützt die Schwächsten und überlässt sie nicht einem eiskalten System, das nur auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist und alles Menschliche und Liebevolle verloren hat.


Wir haben die UN-Behindertenrechtskonvention, einen völkerrechtlich bindenden Vertrag, den Deutschland unterschrieben hat. Sie ist ratifiziert, sie ist also geltendes Recht
Deutschland setzt sie nur kaum um.

Die Zahl der Menschen in den Behindertenwerkstätten hat sogar zugenommen und es werden auch noch weitere gebaut.

Wir haben das Grundgesetz, das verbietet, Menschen mit Behinderungen zu benachteiligen, aber was nützen uns die schönsten Gesetze, wenn sie nicht konsequent durchgesetzt werden?

Es gibt kein funktionierendes Beschwerdesystem für Schwerbehinderte oder psychisch Kranke. Nur schickes Blendwerk ohne jegliche echte Funktion, das der Öffentlichkeit als heile Welt verkauft wird.

Wir sind die, die von der Gesellschaft ausgespuckt werden, wenn wir nicht erwerbsfähig sind.

Wir sind die Diskriminierten, die von den Wirtschaftsmarionetten stets vergessen werden.
Wir sind die, die verlässlich immer hintenan gestellt werden, wenn es um die Verteilung von Rechten und finanziellen Mitteln geht.

An uns verdienen aber viele scheinbare „Wohltäter“ sehr viel Geld.

Wenn Du heute eine Behinderung bekommst, schaust Du morgen in Abgründe, die Du nicht einmal geahnt hast.

Du landest in einer Parallelwelt und spürst vielleicht die Hilflosigkeit und Ohnmacht, Leuten ausgeliefert zu sein, die es nicht gut mit Dir meinen… Seien es kriminelle Seilschaften, betrügerische Pflegedienste, Gewalt und Missbrauch in Heimen. Relativ sicher erlebst Du aber die, nicht enden wollenden, Kämpfe mit Behörden, wo regelmäßig eingereichte Unterlagen spurlos verschwinden…

Behörden, denen Du immer wieder Anträge einreichen musst, die zumeist schon prinzipiell erst mal abgelehnt werden, weil man dort in den Anspruchsabwehrabteilungen auf Zermürbung und das „Zersetzungsprogramm“ setzt.
Demütigung, Schikane, Verleumdung, Entrechtung…

Wir fordern Veränderungen!

Wir müssen über die politische Ebene gehen. Mit freundlichen Schreiben und vernünftiger Argumentation erreicht man nichts. Genau so sinnlos sind Dienstaufsichtsbeschwerden oder Befangenheitsanträge. MAN WILL NICHT und da ist JEDES Mittel recht. So werden auch Akten massiv manipuliert, geschwärzt, fremde Patientenblätter untergejubelt und auch schon mal rechtswidrige Entmündigungsverfahren eingeleitet, wenn sich jemand – völlig zu Recht – beschwert, weil ihm Unrecht widerfährt.

Wir fordern ein funktionierendes Beschwerdesystem, damit Menschen mit Behinderungen und chronischen oder psychischen Erkrankungen diese unzumutbaren Zustände erspart bleiben.

Wir vom Randgruppenkrawall stehen FÜR die Menschenrechte und stellen uns klar gegen Diskriminierung, Rassismus, Behinderten-, Homo- und Transfeindlichkeit.

Weil es dringend notwendig ist!

Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass sich Deutschland nochmals in so eine widerliche und brandgefährliche Richtung bewegt?

Als wir jung waren, fragten wir uns fassungslos, wie das gigantische Verbrechen damals möglich war. Warum so viele mitgemacht haben…

Heute können wir quasi live mit ansehen, wie sich das Nazi-System durch unablässige Hetze neu installiert und ganze Bevölkerungsgruppen ausgrenzt.

Lasst Euch nicht teilen! Haltet zusammen. Lasst uns füreinander da sein.

Demnächst ist Landtags- und Bezirkstags-Wahl in Bayern. Wir haben die Chance, die Zustände zu ändern…

Wählt bunte Vielfalt statt brauner Einfalt!

Wer frei sein will, darf nicht gehorsam sein.

Der Beginn der Freiheit ist Mut.

Seid mutig und wehrt Euch!

Patricia im Rollstuhl auf der Bühne
6. Randgruppenkrawall
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